«Beim Gas wird die Lage noch mindestens ein bis zwei Jahre angespannt bleiben»

Gas ist im Kanton Zürich ein wichtiger Energieträger. So nutzt in der Stadt Zürich rund die Hälfte der Haushalte Gas für die Warmwasseraufbereitung, um zu heizen oder zu kochen. Doch wie steht es um die Gas-Versorgung in diesem und in den nächsten Wintern? Woher bezieht die Schweiz diesen Brennstoff und wie spart man Gas ein? Diese und weitere Fragen beantwortet Rainer Schöne, Mitglied der Geschäftsleitung bei Energie 360°, einem Zürcher Unternehmen, das seinen Ursprung bei der Gasversorgung Zürich hat und heute landesweit Energielösungen mit erneuerbaren Energien anbietet.

Portrait von Rainer Schöne, Mitglied der Geschäftsleitung bei Energie 360°. Er lächelt, trägt ein weisses Hemd und steht vor einer hellblauen Wand.
Rainer Schöne, Mitglied der Geschäftsleitung bei Energie 360°, ist froh darüber, dass die Gasspeicher zum jetzigen Zeitpunkt noch gut gefüllt sind. Quelle: Energie 360°

Welchen Stellenwert hat Gas als Brennstoff im Kanton Zürich?

Es gibt Gemeinden im Kanton, in denen wird überhaupt kein Gas verwendet, in anderen Gebieten ist es ein wichtiger Energieträger. Die Stadt Zürich hat mit rund 50 Prozent einen der höchsten Anteile an Gasheizungen, in der Stadt Winterthur dürfte es ähnlich aussehen. In unserem Versorgungsgebiet – wir beliefern einen Grossteil des Kantons mit Gas – zählen wir rund 36’000 Gasverbraucher. Darunter sind auch einige industrielle Grosskunden – aber das sind im Schweizer Vergleich eher wenige.

Wie sieht die aktuelle Gasversorgungslage aus? Kann uns das Gas noch ausgehen, wenn es deutlicher kälter wird?

Noch können wir nicht ausschliessen, dass es im Verlauf dieses Winters zu einer Gasknappheit kommt. Bleiben die Temperaturen mild, ist diese Wahrscheinlichkeit klein, aber setzt eine längere Kälteperiode ein, könnte es kritischer werden. Ein Gradmesser ist die Situation in Deutschland, von wo wir viel Gas importieren. Wird es dort knapp, sind wir mitbetroffen, auch wenn wir mit Gas aus Italien und Frankreich noch weitere Importmöglichkeiten haben. In Deutschland waren die Speicher zu Beginn des Winters so gut gefüllt wie noch nie. Und dank der warmen Temperaturen über den Jahreswechsel konnten sie in den letzten Wochen sogar wieder aufgefüllt werden, was sonst im Winter sehr selten geschieht. Das gibt uns wieder etwas mehr Sicherheit.

Machen sich die bisherigen freiwilligen Sparmassnahmen beim Gas bemerkbar?

Ja, wir beobachten momentan, dass der Gasverbrauch um 15 bis 20 Prozent niedriger ist als in den Vorjahren. Das sind temperatur-bereinigte Zahlen, das heisst, sie berücksichtigen die milden Temperaturen der letzten Wochen. Die effektiven Einsparungen bewegen sich sogar um 25 Prozent. Die Auswirkungen der Sparanstrengungen sind also beachtlich. Sowohl unsere Privatkunden verbrauchen weniger als auch unsere Firmenkunden, was sicher auch auf die höheren Gaspreise zurückzuführen ist. Für mich ist das ein weiteres positives Anzeichen, dass der Wahrscheinlichkeit eines Versorgungsengpasses entgegenwirkt. Es ist wichtig, dass wir alle unseren Beitrag leisten, damit wir ohne Energiekrise durch den Winter kommen und wir erfahren diesbezüglich in der Bevölkerung sowie bei den Firmen eine grosse Unterstützung.

Wie sparen Gasverbraucher am effizientesten?

Gas bietet zwar etwas weniger Einsparmöglichkeiten als Strom, aber es gibt auch da wirksame Massnahmen. In erster Linie über die Raumtemperatur, die je nach individuellem Wohlbefinden gesenkt werden sollte. Man schätzt, dass sich pro gesenktes Grad Celsius der Energieverbrauch um 6 Prozent reduziert. Ausserdem spart das richtige Wohnungslüften Gas, die Reduktion des Warmwasserverbrauchs oder das regelmässige Entlüften der Heizkörper. Weitere Spartipps findet man auch auf unserer Webseite. Langfristig ist der beste Tipp das Ersetzen der Gasheizung durch eine erneuerbare Heizlösung, zu der wir unseren Kundinnen und Kunden bereits seit längerer Zeit raten. Zumal auch das geänderte kantonale Energiegesetz verlangt, dass Öl- und Gasheizungen am Ende ihrer Lebensdauer durch umweltfreundliche Alternativen ersetzt werden.
 

Ein Handwerker in kariertem Hemd und mit blauem Helm hält mit seiner rechten Hand ein Messgerät, an dem er den Gasdruck abliest.
Gas ist im Kanton Zürich nach wie vor ein wichtiger Energieträger. Viele Haushalte nutzen den fossilen Brennstoff für die Warmwasseraufbereitung, um zu heizen oder zu kochen. Quelle: Energie 360°

Anders als bei der Stromversorgung sind wir beim Gas vom Ausland abhängig. Wie sind dort die Entwicklungen und was bedeuten sie für uns?

Europa bezieht momentan nur noch rund 20 Prozent des russischen Gases und hat nicht vor, diesen Anteil wieder hochzufahren, wenn Russland den Krieg in der Ukraine beendet. Es laufen intensive Bemühungen, ganz von dieser Abhängigkeit von Russland wegzukommen und die Bezugsmöglichkeiten breiter abzustützen. Eine wichtige Rolle spielt dabei LNG (englische Abkürzung von liquefied natural gas), da dieses flüssige Gas per Schiff aus unterschiedlichen Weltregionen beschafft werden kann. Die EU verfügt über rund 40 LNG-Terminals, in denen das Flüssiggas wieder umgewandelt und in das Gasnetz eingespeist werden kann. Noch sind diese Kapazitäten zu knapp, doch sie werden ausgebaut. Das wird eine Weile dauern und solange wird die Gasversorgung in Europa im Winter unsicher bleiben. Ich rechne damit, dass die Lage noch mindestens ein, zwei Jahre angespannt bleibt. Dazu kommt, dass die Gasspeicher im Sommer wieder aufgefüllt werden müssen. Letztes Jahr war das noch mit russischem Gas möglich, – die Importpipeline Nord Stream 1 wurde ja erst im Juli abgestellt. Nun wird das Füllen der Speicher schwieriger.

Wie kann das russische Gas kompensiert werden?

Es wird durch Gas aus anderen Regionen ersetzt: mit Pipelinegas aus Norwegen oder Nordafrika sowie durch Flüssiggas aus Übersee, zum Beispiel aus Amerika oder Katar. Die Schweizer Gaswirtschaft hat nie direkte Lieferbeziehungen zu Russland gepflegt. Sie bezieht ihr Gas primär auf den Märkten in Deutschland, den Niederlanden, Frankreich und Italien. Im Jahr 2021 betrug der Anteil von russischem Gas am Schweizer Importmix rund 43 Prozent.

Wieso verfügt die Schweiz über keine eigenen Gasspeicher?

Die kosteneffizientesten Gasspeicher stehen dort, wo Gas gefördert wird oder früher einmal gefördert wurde. Die Schweiz hat praktisch nie eigenes Gas gefördert und deshalb keine ausgedienten Lagerstätten; sie müsste für den Bau solcher Speicher grosse Summen investieren. Die günstige Alternative war eine gute Anbindung an das europäische Pipelinenetz mit Importmöglichkeiten aus Deutschland, Frankreich und Italien. Allerdings verfügt die Schweiz als Nicht-EU-Mitglied über keine Solidaritätsabkommen mit anderen Ländern, was im Krisenfall ein grosser Nachteil ist. Die rechtliche Absicherung der Importmöglichkeiten mittels Staatsverträgen hat deshalb Priorität. Ganz ausgeschlossen ist der Bau eigener Gasspeicher aber nicht: Der Bund klärt momentan ab, welchen Beitrag eigene Speicher zur Versorgungssicherheit leisten könnten.


Wie hat sich Energie 360° in diesem Winter für eine allfällige Gasmangellage gerüstet?

Wir haben unsere Beschaffung so gut und breit wie möglich aufgestellt, um unsere Kunden den Winter über mit Gas beliefern zu können. Das heisst, wir sind über entsprechende Verträge zu 100 Prozent mit Gas eingedeckt. Wir haben die Beschaffung diversifiziert, zum einen über verschiedene Lieferanten, zum anderen geografisch. Das konnten wir als Versorger tun. Sollte sich die Krise so weit verschlimmern, dass wir unsere Beschaffung nicht mehr über den Markt tätigen können, kommt die wirtschaftliche Landesversorgung zu tragen und der Bund wird Massnahmen nach einem vierstufigen Plan anordnen. Bei dieser Vorbereitung und Umsetzung arbeite ich als Mitglied der Kriseninterventionsorganisation der Schweizerischen Gasindustrie mit.

Die Gaspreise sind in jüngster Zeit wieder etwas gefallen. Wie erklärt sich das und wie erwarten Sie die mittelfristige Preisentwicklung?

Der Preisrückgang ist auf das milde Wetter zurückzuführen: Es gibt momentan ein grosses Angebot an Gas auf dem Markt, weil aufgrund der Temperaturen weniger verbraucht wurde als in den Vorjahren und das führt zu den niedrigeren Preisen. Die Preise werden wieder steigen, wenn es kälter wird. Grundsätzlich kann man jetzt schon sagen, dass die Preise für Gas nie mehr so billig sein werden wie vor der Russland-Krise. Auf welchem Niveau sich die Gaspreise mittel- und längerfristig einpendeln werden, ist schwer zu sagen, dafür schwanken sie momentan noch zu stark.

Was ziehen Sie für ein vorläufiges Fazit aus der momentanen Krise?

Wir sind bisher gut durch den Winter gekommen und froh, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch über so gut gefüllte Gasspeicher verfügen. Das ist die beste Ausgangslage für den weiteren Verlauf des Winters, – auch wenn das keine totale Entspannung bedeutet. Mittelfristig appelliere ich an alle Privathaushalte und Unternehmungen, ganz auf Gasheizungen zu verzichten und auf erneuerbare Lösungen umzusteigen. Der komplette Verzicht auf fossile Energien sollte das Learning aus der aktuellen Situation sein.
 

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